Warum überhaupt tragen?

Die Antwort auf die Frage, warum ich mein Baby überhaupt tragen sollte, ist relativ simpel: Der Mensch ist ein Tragling. Punkt.

Es ist von der Natur so vorgesehen, dass wir unsere Neugeborenen und größeren Babys eng am Körper bei uns haben, solange sie sich selbst nicht fortbewegen können und auf unsere Fürsorge angewiesen sind. Abgelegt zu werden, fühlt sich für die meisten Babys einfach „falsch“ an, und sie beginnen, dagegen zu protestieren. Erst leise, dann lauter. Das ist kein „Problemverhalten“, und es hat nichts mit Verwöhnen zu tun, wenn wir prompt auf die Signale unserer Babys reagieren. Ganz im Gegenteil. Wir stärken dadurch ihr Urvertrauen, ihr späteres Selbstvertrauen und ihr Vertrauen in uns und unsere (Um-)Welt.

 

Ankommen in der Welt

9 Monate lang war das Baby rundum geborgen, fühlte weder Hunger noch Kälte oder Hitze, hörte die bereits vertrauten, aber gedämpften Stimmen von Mama und anderen Personen aus dem nahen Umfeld, schmeckte Mamas Geruch. Es war alles rundum perfekt. Und dann wird das Baby mit der Geburt aus dieser gewohnten Umgebung schlagartig „herausgerissen“.  Alles ist neu, alles ist plötzlich anders. Damit kommen manche Neugeborene besser klar, andere weniger gut. Viele Babys haben nach der Geburt Anpassungsschwierigkeiten, die sich v.a. in den ersten 3 Lebensmonaten bemerkbar machen. Sie schreien dann vielleicht vermehrt, sind sehr „anhänglich“, wollen immer getragen werden. Man spricht in diesem Zusammenhang gerne vom Gebährmutterheimweh oder auch vom Vierten Trimester oder der Schwangerschaft außerhalb vom Mutterleib. 

 

Unsere Babys werden zu früh geboren

Ja, auch wenn sie termingerecht zur Welt kommen, ist es eigentlich zu früh für die kalte, harte Welt da draußen. Unsere menschlichen Babys sind im Vergleich zu allen anderen Säugetieren am hilflosesten, am wenigsten weit entwickelt. Eigentlich müsste die Schwangerschaft länger dauern, damit sie den Reifegrad erreichen, den andere Säugetierarten bei der Geburt haben. Die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von der Physiologischen Frühgeburt. Aber warum ist das so? Warum kommen unsere Babys zu früh zur Welt? Man geht davon aus, dass das die Nebenwirkungen der Evolution sind. Sprich: des aufrechten Gangs. Und unserer großen Intelligenz. Durch den aufrechten Gang ist unser Becken schmaler geworden. Und durch unsere großen Gehirne ist auch der Kopf bei der Geburt sehr groß. Und da passen die Proportionen einfach nicht mehr zusammen. Das Baby muss nach spätestens 9 Monaten geboren werden, sonst würde es im Geburtskanal steckenbleiben.

 

Was können wir tun, um den Babys den Start ins Leben zu erleichtern?

Was wir tun können, ist, die gewohnten Bedingungen in diesen ersten 3 Monaten und auch noch danach so gut wie möglich zu simulieren. Also die Geborgenheit, die Sicherheit, die Wärme, den Körperkontakt. Die simulierte Schwangerschaft außerhalb des Mutterleibs, das vierte Trimester. Am einfachsten und stressfreiesten gelingt uns dies: genau, durch den Gebrauch von Tragehilfen oder Tragetüchern. So spürt das Baby die so wichtige Nähe, den Körperkontakt, den vertrauten Geruch seiner Bezugsperson(en), es kann seine Körpertemperatur stabil halten. Und wir Eltern? Wir haben dabei die Hände frei, um andere Dinge zu erledigen. Und wenn es nur ist, sich schnell nebenbei ein Brot zu schmieren.

 

Babys brauchen Körperkontakt

Nicht nur Babys, aber je jünger das kleine Menschlein ist, umso wichtiger ist der direkte Kontakt. Nachgewiesenermaßen reagieren Babys tatsächlich körperlich auf fehlenden Körperkontakt: Atmung und Herzfrequenz sind dann weniger stabil, die Körpertemperatur sinkt, der Körper produziert Stresshormone. Und auch die Psyche leidet langfristig, wenn der Kontakt zur Bezugsperson fehlt. Denn die Eltern-Kind-Bindung entsteht im ersten Lebensjahr hauptsächlich im direkten Körperkontakt.

 

Körperliche Merkmale des Traglings

Noch heute zeigen unsere Babys gewisse Merkmale und Reflexe, die darauf schließen lassen, dass unsere Vorfahren ihren Nachwuchs bei sich trugen:

  • Da ist einmal der sog. Mororeflex (Klammer- und Festhaltereflex), das sofortige Nach-vorne-Nehmen beider Arme, wenn das Baby droht, zu fallen. Außerdem der Greifreflex, wenn etwas die Handfläche berührt. Vermutlich ist dies ein Relikt aus der Zeit, als die Babys unserer Vorfahren sich im Fell der Mutter festhielten (=aktiver Tragling).
  • Und dann die typische Anhock-Spreiz-Stellung der Beine, sobald das Baby hochgenommen wird, in der Erwartung, am Körper getragen zu werden. Interessanterweise „passt“ das Baby in dieser angehockten, leicht gespreizten Haltung haargenau auf die Hüfte eines Erwachsenen, was wiederum die Schlussfolgerung zulässt, dass die Babys unserer Urahnen seitlich auf der Hüfte transportiert wurden.
  • Last but not least ist die typische runde Körperhaltung eines Neugeborenen ein Zeichen dafür, dass es nicht dazu geschaffen ist, gerade auf einer flachen Unterlage zu liegen. Der Rücken ist gerundet, die Beinchen werden angezogen (tatsächlich ist das Baby anatomisch nicht in der Lage, flach mit geraden Beinen zu liegen). Diese typische Körperhaltung wollen, sollen und dürfen wir beim Tragen unterstützen: Das Baby hockt in der Tragehilfe mit leicht gespreizten Beinchen, der Rücken wird gestützt, aber kann sich dennoch leicht runden. Fast wie im Mutterleib.

 

Ich trage dich in die Welt!

Tragen ist keine neumodische Erfindung, kein moderner Trend. Tragen ist die natürliche Fortbewegungsart für menschliche Säuglinge. Und wir dürfen sie tragen, ohne schlechtes Gewissen, das uns manche Zeitgenossen vielleicht einreden möchten, und ohne zeitliche Begrenzung, solange es Baby und TrägerIn gefällt und guttut. Tragen wir unsere Babys in die Welt hinaus. Sie erwarten es.

 

Literaturempfehlungen / Quellen:
„Ein Baby will getragen sein“ von Dr. Evelin Kirkilionis
„Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ von Jean Liedloff
„Ins Leben tragen“ von Anja Manns und Anne Christine Schrader

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